„The way people treat me is just as toxic, if not more, than all
the really bad chemicals and poisons …” (Katherine Devoir)
  
  Eine Frau lebt allein in einem Holzhaus im Wald, irgendwo in Massachusetts.
  Ihr Haus ist aus natürlichen Materialien gebaut, ihre Kleidung ist aus
  reiner Baumwolle, sie ernährt sich sehr 
  bewusst. Sozialkontakte hat sie kaum. Es handelt sich nicht um eine moderne
  Asketin und auch nicht um eine Retroeremitin. Ihre Isolation ist nicht freiwillig.
  Sie leidet an Multipler Chemischer Sensibilität (MCS), einer chronischen
  Umweltkrankheit, einer Vergiftung durch Schadstoffe. Der Schweregrad der Erkrankung
  ist unterschiedlich und reicht
  von Befindlichkeitsstörungen bis zu lebensbedrohlichen Zuständen,
  von Kopfschmerzen und Übelkeit über
  verminderte Leistungsfähigkeit durch Schädigungen des peripheren
  und zentralen Nervensystems bis zu schweren organischen Erkrankungen. Früher
  war Katherine Devoir Tänzerin, Performancekünstlerin. Jetzt muss
  sie zurückgezogen
  leben, muss sich vor ihrer Umwelt schützen. Vor Menschen, die Parfum oder
  andere Duftstoffe an sich tragen.
  
  Diese verursachen bei ihr heftige Reaktionen, anhaltende Hustenkrämpfe,
  gehen von Atemnot bis zu Erstickungsanfällen. Sie muss sich vor Chemikalien
  schützen, die sich (bei uns) überall finden – in Putzmitteln, in der Luft, in der Nahrung, in
  der Kleidung, in Möbeln, in Teppichen etc. Wenn sie das Haus verlässt,
  sollte sie eine Atemschutzmaske tragen, um keine unerwarteten, neuen Anfälle zu bekommen, die sie etwa während des
  Autofahrens überraschen könnten. Eine Therapie für ihre Krankheit
  gibt es nicht – die einzige Strategie ist Vermeidung, der „Expositionsstopp“.
  Katherine Devoir kann nur noch am Rande der Gesellschaft leben.
  
  In ihrem Dokumentarvideo Exposed zeichnet die in New York lebende, österreichische
  Videokünstlerin Heidrun Holzfeind ein vielschichtiges Porträt dieser
  35-jährigen Frau, die seit elf Jahren an MCS leidet. Um diesen Film realisieren
  und in Katherines Nähe sein zu können, passte sie sich ganz an ihr
  Leben an. Sie musste nicht nur „schadstofffrei“ sein, sondern auch
  die beschränkten Kraftressourcen Katherines berücksichtigen. Holzfeind
  begleitete ihren Alltag rund um die Uhr, filmte sie bei ihren täglichen
  Verrichtungen, beim Einkaufen, Essen und Medikamente zubereiten, bei Arztbesuchen,
  am Computer, tanzend, schlafend. Die Interviewpassagen zeigen Katherine häufig
  liegend, offenbar stark geschwächt durch die Krankheit.
  
  Exposed beginnt chronologisch: In einem kurzen Abriss erzählt Katherine
  ihre bisherige Lebensgeschichte, dazu Kindheits- und Jugendfotos, dann dokumentieren
  bewegte Bilder Katherines Leben. Schon früh filmte sie sich selbst beim
  Tanzen, Autofahren, Biertrinken, Zigarettenrauchen; Bilder, die ein normales
  Leben andeuten. Später sind es prägende Erlebnisse während der
  Krankheit, die durch Katherines selbst gefilmtes Videomaterial unmittelbar nachvollziehbar werden. Immer wieder filmt sie sich selbst. Diese
  Hi8-Sequenzen finden sich an verschiedenen Stellen im Film und schaffen authentische
  Reflexionen.
  
  Durch Schwarzkader getrennt entwickelt sich die „Kranken-Geschichte“.
  Wie die meisten MCS-PatientInnen hat auch Katherine ein jahrelanges Martyrium
  hinter sich, bevor die Krankheit überhaupt erkannt wurde. Erkannt heißt
  jedoch nicht anerkannt. Dort, wo die Schulmedizin versagt, versagen in der
  Regel auch die Systeme, deren Aufgabe Heilung und Obsorge für Kranke ist, dort scheitern die meisten sozialen Auffangnetze für
  Betroffene. Katherine schlägt Unverständnis, Hilflosigkeit bis zu
  Aggressionen entgegen.
  
  Die einfache und häufige Umgangsweise ist das Individualisieren und Pathologisieren.
  Die erzwungene Isolation und der klinische und gesellschaftliche Umgang der
  Menschen mit MCS führen häufig gerade zu den psychischen Störungen,
  die diesen Menschen dann "systemerhaltend" vorgeworfen werden.
  Es ist nicht weiter verwunderlich, dass der gesellschaftliche Umgang mit MCS
  bestimmte
  Formen
  von Paranoia entstehen lässt. 
   
  Durch die Wirkung von Schadstoffen kommt es oft auch zu Verwirrtheitszuständen,
  die dann bereitwillig psychischen Krankheitsbildern zugeordnet werden. MCS
  ist eine Krankheit, von der vor allem Frauen betroffen sind, die im Allgemeinen
  auch leichter als psychisch krank stigmatisiert werden, deren Widerstand und
  Kampf als pathologisch definiert wird, sie als unbequeme Mitglieder der Gesellschaft
  diskriminiert werden. So passiert es MCS-PatientInnen, dass sie auf psychiatrische
  Stationen eingewiesen, dass sie als hysterisch, paranoid bezeichnet werden,
  dass ihnen Psychotherapie als einzige Hilfe verschrieben wird, obwohl, so wie
  Katherine es im Film sagt – "I did everything, analyzed
  my childhood, many times, I did everything, except look at my environment."
  Katherine erzählt von jahrelangen Fehldiagnosen und dem wachsenden Ausmaß der
  Krankheit. Sie gelangt an einen Punkt, an dem sie verzweifelt und mutig beschließt,
  dass sie nur mehr ihren eigenen Instinkten, ihrer Intuition trauen kann, dass
  sie auf sich allein gestellt ist. An dieser Stelle im Film erleben wir zum
  ersten Mal eine von Katherine selbst dokumentierte psychische Krise.
  
  Wie schon in den Tagebuchfilmen der amerikanischen Filmemacherin Anne Charlotte
  Robertson, mit ihrem Motto „A film a day keeps the doctor away“,
  erfüllen die eigenen Videoaufnahmen bei Katherine Devoir auch eine therapeutische
  Funktion. Sie filmt sich u. a. in psychischen Stresssituationen, bei Erstickungsanfällen,
  beim Haare waschen im winterlichen Freien, beim Tanzen. Entstanden mit dem
  Gestus und den begrenzten Mitteln des Amateurfilms, begleitet von der eigenen
  Stimme, die zwischen Verzweiflung, Wut, krankheitsbedingter Erschöpfung
  und leidenschaftlichem Widerstand oszilliert, gehen die unprätentiösen
  Bilder unter die Haut. Durch das direkte Adressieren der Kamera wird das Publikum
  unmittelbar miteinbezogen, es entsteht aber nicht nur Empathie, sondern auch
  eine unausweichliche Betroffenheit. Die Kamera verbleibt einzige Gesprächspartnerin.
  Sie soll bewusst Zeugin ihrer Krankheit sein. Ein dokumentiertes Telefongespräch
  lässt miterleben, dass nicht einmal der nächste Freund die Ausmaße
  ihrer Krankheit versteht, mit der Ausweglosigkeit ihrer Situation in keiner
  Weise umgehen kann. 
  Heidrun Holzfeind platziert diese von Katherine gedrehten eigenen Filmsequenzen,
  in denen ihre künstlerische Rolle als Performerin eine Art Fortsetzung
  findet, zwischen den reflektierenden und analysierenden Interviewpassagen und
  bringt uns damit die Verzweiflung Katherines immer näher. Durch die Zusammenarbeit
  mit Holzfeind erscheinen die selbst gefilmten Teile wie Dialoge mit der Filmemacherin,
  gleichzeitig das "Fenster zur Welt", eine Möglichkeit, aus
  der Isolationshaft heraus mit einer für die MCS-Kranke unzugänglichen
  Welt zu kommunizieren. Damit entsteht so etwas wie ein Stück Hoffnung,
  wenn keine Zeit und keine Kraft mehr bleibt, ihren Körper, ihr zerstörtes
  ehemaliges künstlerisches Medium, zum Tanzen zu nützen. Liegen, warten
  und sprechen, bis es vielleicht besser wird.
  
  Katherine erzählt Heidrun Holzfeind über ihre Krankheit, ihre Situation
  und ihre Kritik an der amerikanischen Gesellschaft. Trotz der Erzähldichte
  und der wachsenden persönlichen Nähe zum Schicksal von Katherine
  schafft Holzfeind nicht zuletzt durch zwischengeschaltete Clips auch Distanz.
  Informationen
  zur Krankheit und zu deren Verbreitung liefern
  auch Zitate aus 
  Untersuchungen und Fernsehbilder. Der Versuch, auf diese Weise einer individualisierenden
  Pathologie auch stilistisch entgegenzuwirken, erweitert den Blick von einer
  einzelnen "case 
  history" auf eine verbreitete Krankheit des 21. Jahrhunderts.
  
  Dreimal unterbricht Heidrun Holzfeind ihr Porträt von Katherine durch
  diese Montagesequenzen und kontextualisiert damit Katherines Krankheit in einem
  gesamtgesellschaftlichen und vor allem auch politischen Zusammenhang. Sie beginnt den Film mit einer Collage
  aus Werbebildern mit glücklich Parfum versprühenden Frauen und neuen
  Erfindungen. Zum blinden Fortschrittsglauben unserer Gesellschaft verheißt eine Stimme „This
  world belongs to us all, it is yours to explore, your new frontier“.
  Die Doppeldeutigkeit des Wortes "frontier" wird im
  Zusammenhang mit MCS zur unüberwindbaren Grenze, zur Ausgrenzung. Katherine
  beschreibt dies so: "The psychology of the human being is to fit in and
  to be part of culture. We want to have friends, to participate, be useful – all
  this is taken away from us …" Der zweite Exkurs zum Thema "Umweltgifte"
  versammelt Nachrichtenbilder zur Umweltverschmutzung und Bush-Statements zur
  Umweltpolitik,ironisierend vom Bild einer Familienidylle begleitet. Die dritte Montage befasst
  sich mit den Bedrohungen durch Umweltgifte im Haushalt und ist ein Interview
  mit einer Toxikologin, die einen für eine weiße Maus tödlichen
  Versuch kommentiert, der den Giftgehalt von Putzmitteln und Teppichen belegt.
  
  Aus all diesen Teilen schafft Heidrun Holzfeind ein dichtes Netz an Bildern
  und Informationen, Gemütszuständen und Reflexionen über diese
  (immer noch) rätselhafte und heimtückische Krankheit. Trauer, Resignation, aber auch Kampfbereitschaft, absurde, fast
  komisch anmutende Situationen von Beeinträchtigungen zeigen schließlich
  das Bild einer Frau, die nicht bereit ist, aufzugeben und damit Hoffnung signalisiert.
  Heidrun Holzfeind, die meist an der Schnittstelle zwischen Dokumentarfilm und
  Kunstraum arbeitet, gelingt
  mit Exposed nicht nur ein umfassendes Porträt von Katherine und ihrer
  Krankengeschichte, sondern durch den hohen Reflexionsgrad über die Krankheit
  und deren Auswirkungen auch eine fundierte Gesellschaftskritik.
  
  MCS wird in Exposed als gesellschaftliches Phänomen und Problem begriffen,
  im Gegensatz zu dem beeindruckenden Spielfilm Safe(USA, 1995) von Todd Haynes:
  Eine junge amerikanische Hausfrau und Mutter erkrankt sukzessive an MCS, wird
  von ihrer Umgebung nicht ernst genommen und verstanden, verfällt in eine
  tiefe Depression und sucht Hilfe bei einem Therapiezentrum, das von einem New-Age-Guru
  geleitet wird.
  In ihrer hochsterilen Isolation wird sie für Ehemann und Kind unerreichbar.
  Haynes problematisiert diese Flucht in New-Age-Therapien als einen gefährlichen
  Trost, bei dem jeder für seinen eigenen Zustand doch selbst verantwortlich
  ist. Ganz anders begegnet uns in Exposed die manchmal sehr kämpferische,
  selbst bestimmte und gesellschaftskritische Katherine Devoir, die in der wohltuend
  heiteren Schlussszene fast übermütig fröhlich auf der Müllhalde
  Gerümpel entsorgt und damit Handeln als letzte verbleibende Konsequenz
  apostrophiert.
  
  Es wäre weltfremd und naiv anzunehmen, dass eine nunmehr schon fast zwanzig
  Jahre andauernde Diskussion um MCS in einem wertfreien Raum stattfindet. Dafür
  steht zu viel auf dem Spiel. Große Industrielobbys fühlen sich durch
  eine breite Diskussion um MCS bedroht oder (angesichts der ungleichen Machtverhältnisse)
  zumindest nachhaltig belästigt. Das Thema wird immer brisanter. Das war
  auch der Grund, warum Katherines Nachname im Film geändert ist und ihr
  Wohnort nicht genannt wird, um zu erwartenden Anfeindungen zu entgehen.
 
		  Wilbirg Brainin-Donnenberg, Studium der Psychologie
		    und Soziologie in Salzburg, Paris und Wien. Beratungstätigkeit und Projektarbeiten im gesundheitspsychologischen
    Bereich. Publikation des Buches „Mutter im Widerspruch“ (1993).
    Seit 1991 im Filmbereich tätig, 1993–2004 bei sixpackfilm, Konzeption
    und Organisation von Veranstaltungen (u. a. das Filmfestival und Symposion „Frauen
    und Wahnsinn im Film“ 1998), Filmvermittlerin und freie Filmkuratorin
    mit Schwerpunkt Gender und 
    Avantgarde, lebt in Wien.    | 
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